Eine merkwürdige Liebesgeschichte
Eine merkwürdige Liebesgeschichte
Homepage • Vita • Kinofilme • Fernsehfilme • Bücher • Operninszenierungen • Alf Brustellin • Kontakt
Vita • Das Singen im Regen • Stadt der Hunde • Der Sturz • Kanon • Nachruf
Mich hat interessiert, wie ein Mann zusammen mit seiner Frau es schafft, die Idee vom privaten Glück und von der großen Liebe über alle Katastrophen hinweg zu retten. Wie das geht, weiß ich nicht, und das erzählt auch der Film nicht: Der Film erzählt nur, dass es geht. Im Unterschied zum Roman, in dem diese Apotheose der großen Liebe nur eine Art faustischer Abgesang ist, wurde sie bei mir das Thema des Films.
Das heißt: Es ist eine ganz merkwürdige Liebesgeschichte geworden. Merkwürdig, weil sie zwischen einem Ehepaar stattfindet, das bereits fünfzehn Jahre verheiratet ist, drei Kinder hat und sich eigentlich dauernd prügelt. In dieser Konstellation ist eine Liebesgeschichte eigentlich unmöglich, es spricht alles dagegen - und trotzdem findet sie statt.
Wir leben heute in einer Irrenhaus-Atmosphäre, die ganz konkret hier herrscht, wenn man die täglich in der Boulevard-Presse abgedruckte Wirklichkeit wirklich ernst nimmt.
Die Irrenhaus-Atmosphäre versucht ununterbrochen, eines unmöglich zu machen: Glückssituationen spontan zu erleben, Glückssituationen für sich zu retten. Ich wollte ausprobieren, ob das geht - ich hoffe, es ist mir gelungen. Ich wollte eine Liebesgeschichte erzählen, der eigentlich nichts im Wege steht - nur: Sie passiert in einer Welt, die von ihrer eigenen Ökonomie vollkommen bestimmt ist. Diese extreme Situation ist der heutige Alltag, so wie ich ihn selbst empfinde und erlebe.
Ich habe versucht, den alltäglichen Wahnsinn und das alltägliche Elend von Leuten, die in irgendeiner Weise gescheitert sind, nicht als Dokumentarspiel oder als abgesicherte, legitimierte Tragödie zu bringen. Es ist die Geschichte eines Mannes, der vierzig Jahre alt ist, seinen Job verliert, wahrscheinlich keinen neuen mehr kriegt und das kleine Vermögen, das er hat, auch noch verliert, dessen Frau zu ihm sagt: Was ist jetzt? Und dessen Kinder durch die Gesellschaft schon deformiert sind - diese Geschichte, die so und ähnlich heute ununterbrochen passiert, ist grauenhaft wahr und realistisch. Aber ich will nicht nur zeigen, was realistisch ist, sondern ich will auch zeigen, wie es sich in einer neuen Qualität aufheben kann. Zeigen, was sein könnte oder sein müsste. Ich versuche, die Siege zu feiern, die Menschen trotz ihrer Niederlagen haben könnten.
Irgendwann müssen wir wieder einmal lernen, Märchen über uns zu erzählen, weil Märchen eine höhere Wahrheit haben als die, die wir durch Zeitungen und Fernsehen geliefert bekommen. Märchen bringen eine Veränderung der Sicht auf die Wirklichkeit. Sie schaffen eine größere Wahrheit als sie die Wirklichkeit selber liefert. Im „Sturz" ist auch eine gewisse Art von Magie, wie in jedem Märchen. Sie wird erkennbar, wenn man den eigenen Blick schärfer auf die Wirklichkeit richtet. Wenn alle Leute so sehen würden, wie ihre Phantasie es ihnen erlaubt - und nicht, wie es die anerzogene Vernunft verlangt -, dann könnte die Welt anders aussehen, als sie aussieht.
Wenn man eine Komödie macht, wenn man versucht, Leute zu zeigen, die einen Anti-Rhythmus haben gegen ihre Situation, dann muss man natürlich auch den einfachsten, den banalsten Gefühlen glauben. Denn in einer immer komplizierteren Welt erzeugt schon ein ganz simples Gefühl einen Anti-Rhythmus. Wenn ich mir Leute anschaue, die so cool sind, dass sie von Liebe und Gefühlen gar nicht mehr reden können, dann sind sie für mich zwar konsequente, aber doch in Wahrheit unglückliche Vertreter unserer Welt. Sie haben deren Pluralität, Komplexität, Vielschichtigkeit aufgesogen: Sie sind angepasst. Ein Teufelskreis, den man leicht mit einer einfachen Gefühlsäußerung durchbrechen könnte.
Alf Brustellin