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Kanon, ungeschützt
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von Alf Brustellin
1. Ich liebe dich, ich hasse dich, du gehst mir auf den Wecker. Ich siege, ich unterliege, ich räche mich. Ich bin ein Stehaufmännchen.
(Die starken Gefühle - der Herr dort oben in seiner Suppenschüssel wird sich freuen.)
2. Ambivalenz geht nicht. Hassliebe ist zu splitten in Hass und Liebe. Mit Widersprüchen nicht eine Figur belasten. Zwei können das viel besser. Als Synthese bietet sich an: das Kind.
3. Einfache, wiedererkennbare Geschichten: Wiederholung, Erinnerung, Beharrlichkeit.
Dramaturgie der Kindheit.
4. Das Gute: Identifikation.
Das Böse: Faszination.
Wie kriegt man also den Sieg des Guten aus der Langeweile heraus?
5. Der Tiefsinn ist höchstens 0,137 mm. Das ist die Dicke des Eastmancolor-Positivfilms, der in Kinos gerne Verwendung findet. Also: den Sinn der Tiefe entreißen und so transparent machen, dass er projizierbar wird - auf eine Leinwand.
6. Girlanden haben klar erkennbar an den Gebäuden verankert zu sein, die sie zieren sollen. Den berühmten Siemens-Lufthaken sollten wir weiterhin den Filmtechnikern überlassen, die das Unmögliche möglich machen.
7. Magie: der gemeinsame Ursprung. Aber der Ursprung ist betoniert. Trotzdem wissen wir, dass es ihn gibt. Nur läßt sich das nicht mit Symbolen beweisen, überhaupt nicht mit Kürzeln.
8. Ansichten sind Bilder, nicht Texte. Ansichten sind Landschaften, Städte, Sonnenuntergänge etc. - nicht Gesichter von Schauspielern. Die Menschen erklären sich nicht, sie erzählen sich. Es ist nicht das Geschäft des Filmautors, sie dauernd zu enttarnen.
9. Traditionen wiederbeleben, das heißt nicht, es noch einmal mit dem Heimatfilm zu versuchen. Traditionen liegen neben, manchmal auch unter den Filmgenres, keineswegs in ihnen.
10. Warum jaulen eigentlich die Leute in den Kinos, wenn auf der Leinwand einmal etwas passiert, was wirklich nur wunderschön ist und was jeder einzelne, allein mit dem Film, auch als sicherlich wunderschön empfinden würde. Zusatzfrage: Warum verkauft man an den Kinokassen allerlei Spezereien, aber keine Tempotaschentücher?
11. Zur Tragödie gehört die Ordnung. Zur Komödie die Anarchie.
12. Es ist nicht wahr, dass Film ein Ausschnitt ist (der Wirklichkeit, der Landschaft, der Menschen). Film ist schon eine Totalität. Deshalb sitzen die Freaks auch in der ersten Reihe. Oder in der siebten - bei Cinemascope. Dann empfindet das Auge wenigstens nicht seitlich über das Bild hinaus.
Das ist übrigens einer von zwölf Punkten, die gegen die Dauerallianz mit dem Fernsehen sprechen.
13. Lumière achten, Méliès aber auch. Das aufziehende Gewitter mitdrehen, aber das Zaubern nicht vergessen - wobei der Zauber nicht auf dem Schnitt liegen sollte.
14. Groteske geht nicht, Ironie auch nicht. Der Zuschauer darf zwar solches empfinden, der Film selbst muss aber für diese Empfindung realistisches Ausgangsmaterial liefern. Das gilt grundsätzlich für alle Distanzierungs- oder Künstlichkeitswünsche, die einen Filmemacher im Laufe seiner Arbeit an Figuren, Geschichten und auch Inhalten ereilen. Wir sind hier nicht beim Orchester. Also stelle sich der Dirigent hinter sein Material und nicht davor.
15. Die Sache mit der Neugierde. Voyeurismus. Wir wollten doch sein wie die Kinder: die Augen immer auf Höhe des Schlüssellochs. Wenn wir es nicht aushalten, Voyeure zu sein, dann sollten wir draußen bleiben aus dem Film und dem Kino. Aber wie gesagt: kindliche Voyeure.
16. Es ist doch eigentlich schade, dass der Film immer wieder dazu benützt wird, das zu zeigen, was ist, wo er doch wie kein anderes Medium das zeigen kann, was sein könnte. In diesem Zusammenhang das Realismusproblem noch einmal diskutieren.
17. Der authentische Film hat immer eine Chance. Bloß, was ist das? Vielleicht der Film, dessen Menschen (Figuren), Geschichten (Erzählungen), Gedanken (Inhalte) nicht bereits durch eines oder mehrere andere Medien gelatscht sind.
18. Es geht so: die Leute machen einen Film, den sie machen wollen, damit haben sie Erfolg. Und dann fangen sie an, Filme zu machen, die sie finanzieren können. Und dann wundern sie sich, dass sie keinen Erfolg mehr haben. Wie also können wir den Leuten helfen, das zu machen, was sie machen wollen?