Kaltgestellt - Interview
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Interview mit Bernhard Sinkel
Erschienen in „Münchner Film Illustrierte“, September 1981
Die Geschichte. Der Berufsschullehrer Brasch (Helmut Griem) ist ein liberaler Idealist, der das Wort Radikalenerlass nur vom Hörensagen kennt. Von dem V-Mann Körner (Martin Benrath) wird er aufgefordert, seinen Schülern entsprechende Aufsatzthemen zu stellen und sie vom Verfassungsschutz auswerten zu lassen, "um die Gedanken der heute 16-jährigen rechtzeitig in den Griff zu kriegen". Der empörte Brasch spielt seine Informationen der Presse zu, nachdem sich ein Schüler, der als Informant missbraucht wurde, erhängt hat.
Nach der Uraufführung im Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes 1980 geriet "Kaltgestellt" zwischen die Stühle der Kritik. Dort, wo die einen zu wenig Wirklichkeit fanden, warfen ihm andere Verzerrung vor – und anschließend wollte die United Artists den Film nicht mehr ins Kino bringen.
Sag mal, hast du eigentlich einen Misserfolg gemacht?
"Kaltgestellt" muss kein Misserfolg werden, selbst wenn wir vielleicht jetzt das Pech haben, dass er in einer Zeit, wo "Harry gegen den Rest von Bahnhof Zoo" läuft, nicht so gut geht.
"Kaltgestellt" war der offizielle Beitrag 1980 in Cannes. Was ist da passiert?
Dass nach Fassbinder, Wenders, Herzog u.a. so ein mieser kleiner Film wie "Kaltgestellt" als offizieller Beitrag angenommen worden ist, dass haben unsere Offiziellen nicht gelitten, die Filmkritiker nicht und auch nicht die Filmpolitiker. Die einen haben dann geschrieben, der Film sei zu dunkel, ich solle mal bessere Beleuchter beschäftigen, und die anderen haben sich im Bundestag beklagt, sie hätten nach so einem Film gar nicht so schön feiern und empfangen können, und beide darüber, dass sie den Film nicht schon vorher sehen konnten, um zu verhindern, dass er in Cannes läuft. Versteh ich ja; war zu viel verlangt!
"Kaltgestellt" sollte von United Artists übernommen werden.
Ja, wenigstens so lange, bis United Artists dann die Kritiken gelesen hatte.
Meinst du, dass die Kritiken wegen des brisanten Inhalts so negativ ausgefallen sind?
Jeder Filmkritiker bedient halt sein Feuilleton. Dabei kann er politische Inhalte nur insoweit tolerieren, so weit es die politischen Bandbreiten der Zeitungen zulassen. Das Feuilleton stößt an die Grenzen, die im Wirtschaftsteil gesteckt sind. Da mag sich der eine oder andere noch so progressiv vorkommen, er muss das auch noch verinnerlichen, wie könnte er denn sonst schreiben und leben, ohne sich ständig sorgen zu müssen! Nein, ich hätte einen falschen Film gemacht, wenn die "Welt" nicht "von einem schlecht gemachten Tatort" geschrieben hätte, oder der germanistische Oberbeleuchter der FAZ W. fachlich geraten hätte, ich solle mir doch in Zukunft gefälligst "ein paar bessere Beleuchter suchen".
Hat dich das Thema Berufsverbot interessiert?
Nee. Berufsverbot kann man nicht verfilmen. Das ist ein Begriff und je nach Standpunkt — gibt's, gibt's nicht — kann man ihn dem anderen um die Ohren schlagen. Was mich interessiert ist das Klima, in dem so eine Disziplin zu einem Wettkampfsport ausgeartet ist, und wo die, gegen die dieses nicht vorhandene Verbot gerichtet ist, auch noch am meisten Haue kriegen. Folgendes hat mich interessiert: Wenn ich einen schlechten Tatort gemacht hätte, dann wäre da ja der Kommissar zuständig, und wenn jemand zuständig ist, dann braucht man sich darüber auch keine Sorgen zu machen, denn dann ist die Sache in guten Händen. Was passiert aber, wenn wie bei "Kaltgestellt" das, was passiert, in die Grauzone des politischen, oder präziser: des gesetzlichen Ermessens fällt. Da gibt es dann Täter und Opfer, und die ganze Schweinerei ist unerhört, aber zuständig ist keiner, weil es vom pflichtgemäßen Ermessen gedeckt und das ja nicht strafbar ist. Das nenne ich das politische Klima.
Warum bist du eigentlich nach Cannes gegangen?
Ich bin eitel. Und dann fand ich auch noch, dass ich einen guten Film gemacht habe. Und ich wollte auch, dass der Film vor einem internationalen Publikum rauskommt, bevor ich zuhause Dresche beziehe.
Wie hat das ausländische Publikum reagiert?
Es fühlte sich bestätigt. Die Atmosphäre, die ich in "Kaltgestellt" geschildert habe, haben die uns schon immer zugetraut.
Und das deutsche Publikum?
Betroffen! Solange sie noch nicht wussten, welche Meinung sie aus welcher Schublade holen sollten, um auf diese Betroffenheit zu reagieren. Dafür hat dann die Presse gesorgt.
Wie ordnest du "Kaltgestellt" in die Filmlandschaft der BRD ein?
"Deutschland im Herbst" war ein Omnibus-Film, bestehend aus den verschiedensten Beiträgen. Daraus haben sich bis heute mindestens drei Spielfilme entwickelt: Fassbinders "Dritte Generation", Kluges "Patriotin" und mein Film. Was Alf Brustellin und ich in "Deutschland im Herbst" ausdrücken wollten, ist als einheitlicher Beitrag leider auseinandergenommen und nur noch als Bindemittel eingebracht worden. Es ging uns danach um Betroffenheit anlässlich des Schleyer-Attentats, und nicht sofort darum, dazu eine Meinung zu haben, die, egal in welcher Ecke vorfabriziert, irgendwie passt. Betroffenheit kann politische Fantasie freisetzen, kann neue Einsichten entwickeln helfen und zu ungewohnten Strategien führen. "Kaltgestellt" ist ein Film, der betroffen macht, wenn man sich unvoreingenommen auf ihn einlässt.
Der Film war Anfang 1980 fertiggestellt, kam erst 1981 ins Kino. Wann hast du damit angefangen?
Das Drehbuch lag Frühjahr 1978 vor. Die Finanzierung dauerte fast zwei Jahre. Der Film selber war dann in 4 1/2 Wochen gedreht und in 1 1/2 Monaten fertiggestellt. Die Kopie für Cannes war einen Tag vorher erst fertig — dann war der Film 1 1/2 Jahre kaltgestellt. Das nennen wir eine spontane Reaktion auf politische Ereignisse
.
Eine oft gestellte Frage: ist der Verfassungsschutz wirklich so dämlich?
Wenn von links wie von rechts über den Verfassungsschutz gesprochen wird, hat man ein unscharfes Bild. Die einen dämonisieren, die anderen wiegeln ab. Der Verfassungsschutz ist eine Behörde ohne Exekutivbefugnis, mit einem Büro und Telefon — hier in Bayern zum Beispiel gegenüber vom Filmcasino im Odeonsbau —und handelt "streng nach Gesetz". (Das haben mir zumindest Beamte des bayrischen Verfassungsschutzes versichert). Schlägt man über die Stränge, dann ist das natürlich nicht gesetzmäßig, kann aber vorkommen. Und wenn das zu häufig vorkommt, weil man zu ungeschickt auf Erkenntnisjagd gewesen ist, dann nennt man das eine Panne, und die kommt meistens an die Öffentlichkeit, worüber man ganz und gar nicht erfreut ist.
Der Verfassungsschutz arbeitet quantitativ, er sammelt Erkenntnisse wie die Feldmaus Körner für den Winter. Was anderes ist es, wenn solche Erkenntnisse in die Hände von Behörden kommen, die in der Lage sind, sie gegen die Bürger anzuwenden. Da plötzlich wird diese dämliche Tätigkeit des Observierens, Abhörens, Schnüffelns von ihrer qualitativen Seite definiert. Da entwickelt sich die Information zu einem Mittel, durch das Druck ausgeübt werden kann. Und wie das geht, habe ich in "Kaltgestellt" erzählt. Nur habe ich den qualitativen Aspekt umgedreht und dem potentiellen Opfer mal Information gegen den Verfassungsschutz in die Hand gespielt.
Das linke Spektrum kennt die Methoden des Verfassungsschutzes. An wen wendest du dich, doch nicht an die, die ihre Erfahrungen mit den Praktiken und Methoden des Verfassungsschutzes bereits gemacht haben?
Das stimmt. Trotzdem sollen sie "Kaltgestellt" ansehen! Denn ich habe mich verdammt angestrengt, keinen Film zu machen, der eine bestehende Meinung bedient. "Kaltgestellt" ist ganz unausgewogen. Ich finde es zum Beispiel nicht gut, dass das Publikum lacht, wenn es heißt: "Haut die Bullen — platt wie Stullen". Da bekomme ich es dann mit der Angst, denn so einfach ist das nicht.
Wieso, das gehört doch auch mit zum politischen Klima.
Ja, aber es ist mir zu oberflächlich. Betroffenheit und Angst entstehen, wenn wie in "Kaltgestellt" ein Lehrer zusammengeschlagen auf der Wache sitzt und ein Beamter ihn höflich darauf aufmerksam macht: "Sie sollten Polizisten nicht in eine Notwehrsituation bringen, Herr Brasch, die sind nämlich besser trainiert als Sie." Der Mann hat nämlich recht.
In welchem politischen Spektrum ist "Kaltgestellt" angesiedelt?
"Kaltgestellt" sitzt zwischen allen Stühlen, und zwar in allen Fettnäpfchen. Bestehende politische Standpunkte zu bedienen, ist anbiedernd und langweilig. Und das Bedürfnis nach so einem Bestätigungsfilm, wo man sozusagen auftanken kann, Kraft und Mut schöpft für den alltäglichen politischen Kleinkrieg, kann und soll das Kino nicht befriedigen. Mit "Kaltgestellt" habe ich mich bemüht, keinen Leitfaden zu drehen, der zeigt wies geht, sondern auf einer dahinterliegenden Ebene, jenseits von Argumenten, auf einer sozusagen atmosphärischen Ebene, meine Ängste auszudrücken, auf mein Unbehagen, meinen Druck im Magen aufmerksam zu machen.
Du greifst ein politisches Thema auf, um mit Emotionen zu argumentieren. Das scheint uns höchst gefährlich. Denn wir sind der Auffassung: betroffen machen genügt nicht!
Schon richtig! Aber was gilt im Kino? Ist die Leinwand eher geeignet für Argumentation oder für Gefühle? Ich meine hier nicht die falschen Gefühle und die dicken Lügen. (Das wird von der Filmindustrie beherrscht). In "Kaltgestellt" findest du beides, nur habe ich bei der Darstellung des atmosphärischen mehr Wert auf Gefühle gelegt: Argumente haben die meisten doch im Kopf, viel zu oft und zu sehr auf Kosten von den Gefühlen. Da haperts.
Das bedeutet also jetzt.- Die linken gehen nicht in "Kaltgestellt", weil sie es sowieso besser wissen, und die anderen gehen nicht, weil die Kritik es nicht besser wußte.
Also wenn das so ist, dann muss doch irgendetwas dran sein an "Kaltgestellt". Das ist nämlich gar nicht so einfach, sich zwischen die Stühle zu setzen. Man muss zumindest wissen, wo sich die Ritze befindet: da man sicher sein kann, dass sie heutzutage kein Zwischenraum, sondern eine Nahtstelle ist, ist das ziemlich schwer. Auf jeden Fall: "Kaltgestellt" ist ein spannender Film. Er ist mit Power gemacht und darüber hinaus auch noch mit einiger Wut im Bauch. Selbst wenn das gewissen Leuten nicht passt!