Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull

Die Welt des Felix Krull ist die Belle Epoque. Ist eine solche Figur, ein solcher Charakter, überhaupt heute noch denkbar?

Die Welt, in der sich Felix Krull herumtreibt, ist eine Welt des Scheins und nicht des Seins, will sagen, Felix personifiziert darin den Ästhetizismus, und insofern stellt er auch keine unbequemen Fragen nach Moral und Wahrheit. Abgewandelt könnte man sagen: Der Schein bestimmt noch das Bewusstsein, denn der Erste Weltkrieg findet erst in ein paar Jahren statt, in ihm wird diese ganze Glamourwelt dann hinweggefegt. Aber noch ist es nicht soweit, noch finden diese rauschenden Feste und glanzvollen Bälle, diese gigantischen Manöver im Kaiserwetter statt, und Felix kann somit seiner Leidenschaft nachgehen, sich ständig zu kostümieren und mit den verschiedensten Kleidern die erstaunlichsten Geschichten anzuziehen.

In dieser Beziehung sind wir heute ärmer geworden, denn in blauen verwaschenen Leinenhosen kann man allenfalls einen strammen Kuhjungen darstellen, und wenn jemand heutzutage noch mit Titeln, Orden und anderen Dummheiten handelt, kann man hier auf jeden Fall nicht von einem „Charakter" sprechen.


Welcher Zuschauer mag sich heute angesichts der anstehenden Probleme mit einem Märchenprinzen à la Felix Krull identifizieren, der weder hart arbeiten muss noch über irgendwelche besonderen Qualitäten verfügt?

Die Fähigkeit, anstehende Probleme zu erkennen, ist Ausdruck unserer heutigen Gegenwelt. In der Scheinwelt wurde an der Lösung solcher Probleme sicherlich nicht gearbeitet. Sie fanden einfach nicht statt. Genauso wenig wie die dazugehörigen Empfindungen der Menschen: Leid und Kummer, Sorge und Not, Angst und Verzweiflung.

Als Exponent dieser Scheinwelt ist Felix vielleicht gar nicht so sehr die Identifikationsfigur, die zum Mitfreuen und Mitleiden einlädt. Vielmehr versteht er sich als Katalysator, als jemand, der andere in der Begegnung spiegelt und jenen dadurch die Möglichkeit und die Befriedigung verschafft, sich durch diese Begegnung zu verändern, etwas Neues über sich herauszufinden oder einfach nur erfahren zu können, was Liebe ist und Sympathie. Als Objekt eines solchen Gefühls muss sich Felix dann jedoch entziehen, denn das Schwebende seiner Existenz läßt ja die aufrichtige Beantwortung und Entgegnung eines solchen Gefühls nicht zu. Er würde sonst Gefahr laufen, dass man seine wirkliche Identität, sein Sein, hinter dem Schein entdecken würde. Die Begegnung des Zuschauers mit Felix soll also nicht so sehr zur Identifizierung mit dem Hochstapler führen als vielmehr dazu, dass er so viel wie möglich von dem Austausch der Liebe und Sympathie abbekommt, die Felix an seine Umwelt verteilt.


Wo stecken für Sie als Autor/Regisseur die Schwierigkeiten, aber auch die schönsten Momente beim Schreiben beziehungsweise bei der Verfilmung?

Sie stecken darin, ein solches Ergebnis herbeizuführen. Der Zuschauer soll in sich selber diese Liebe und Sympathie spüren. Schwierig ist das allerdings insofern, als der Film doch nur sehr gering durch „Handlung" in Gang gehalten wird – Felix erlebt eigentlich nichts Ungewöhnliches oder Abenteuerhaftes, Aufregendes oder Extremes. Er begegnet seinen Mitmenschen in den verschiedensten Verkleidungen, mal tiefstapelnd als Liftboy, mal hochstapelnd als Marquis. Und eigentlich ist seine jeweils angenommene Existenz auch nie in Gefahr, aufgedeckt zu werden – damit entfällt die Komponente der Spannung. Dagegen bestehen die schönsten Momente dann darin, wenn es gelungen ist, allein aus Felix' Existenz in dem Zuschauer so etwas wie Liebe und Sympathie zu erwecken.


Dass ein Autor/Regisseur Geld verdienen muss, ist selbstverständlich. Aber wie schafft man es, drei Jahre seines Lebens mit Thomas Mann und seiner Erfindung „Felix Krull“ zu verbringen? Waren es verlorene Jahre?

Drei bezahlte Jahre mit Thomas Mann, seinem Roman und der Verfilmung von beidem zu verbringen, ist ein Privileg und eine Verpflichtung gegenüber dem Zuschauer, für den dieser Film gemacht worden ist. Und verlorene Jahre waren es dann nicht, wenn es gelungen ist, mit Felix Krull einen Unterhaltungsfilm gemacht zu haben, der den Zuschauer weder für zu gescheit noch für zu dumm verkauft.


Es gibt Ermüdungserscheinungen beim Zuschauer, wenn das Wort „Literaturverfilmung" fällt. Haben Sie Literatur verfilmt?

Ja. „Felix Krull" ist ein Roman von Thomas Mann. Da jetzt ein fünfstündiger Film vorliegt, der diesen Roman zum Vorwurf hat und dieser Roman zur deutschen Literatur gezählt werden muss, handelt es sich hier eindeutig um die Verfilmung von Literatur.

Das Wort „Literaturverfilmung" ist in seiner negativen Hufladung eines dieser kleinen Hilfsschubfächlein der Kritik, besonders der Filmkritik, die sich aufgeregt hat, dass wir uns zu wenig mit Gegenwartsthemen beschäftigten und uns lieber auf Verfilmung von risikoloser Literatur beschränkten. Ob das richtig ist, sei dahingestellt. Auf jeden Fall lebt der Film vom geschriebenen Wort, und damit er überhaupt entstehen kann, muss geschrieben werden. Ob es sich dann dabei um Literatur handelt oder nicht, spielt für die Beurteilung des entstehenden Films meiner Meinung nach keine Rolle mehr. (Die gleichen Kritiker geben dann allerdings nur zu gern das Drehbuch als „Buch zum Film" heraus – erheben ihn also nachträglich zu einem Stück „Literatur") Ermüdungserscheinungen sind jedoch dann berechtigt, wenn Filmdrehbücher beziehungsweise Fernsehprogramme nur noch anhand eines Literaturlexikons entwickelt werden.


Was wünschen Sie dem Zuschauer beim Sehen dieses fünfteiligen Films?

Dass er sich freut und vergnügt und bestens unterhält. Und dass er sich von dem Film angeregt fühlt, zumindest diesen Roman, und vielleicht andere, liest und wenigstens für die Dauer dieser Lektüre seinen Fernsehapparat ausgeschaltet hat.

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