Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull

Der Filmausstatter als Hochstapler. Das Prinzip des Hochstaplers ist, dass er nichts hat und viel vorspiegelt – das geht uns ähnlich.

Mit einem zwar nicht unbescheidenen, aber doch begrenzten Etat tun wir so, als seien wir imstande, den teuren Glanz der Belle Epoque aufs neue erstrahlen zu lassen. Das fängt schon im bürgerlichen Eltville im Vaterhaus Krull an – schließlich lebt die Familie über ihre Verhältnisse. Im Haus muss für den entsprechenden Gründerzeit-Barockkitsch gesorgt werden, die täglichen Champagnerfeiern brauchen den richtigen Rahmen. Und außerhalb, in den Theatern und Spielsälen, will man sich auch wohl fühlen – wer verspielt denn schon gern sein Geld an Orten, die billig ausschauen?

Und dann die Hotels – selbstverständlich müssen es immer die exklusivsten der Stadt sein; entweder ist der Name der Gäste von Adel oder das Konto, oft beides. Felix lässt sich beim teuersten Schneider der Stadt komplett ausstatten. Er wandelt von der Hotelhalle zum Salon Empire, von dort zum Salle Belle Epoque, zum Jardin d'Hiver – eigentlich gibt es keine Szene mit vier normalen Wänden, und jedes Mal müssen wir, die Ausstatter, die Kosten für Felix' Extravaganzen übernehmen. Die Belle Epoque verlangt Extravaganzen, den Hang zur Verschwendung, zum Prunk, zum Mondänen – und das nicht nur im großen, auch im Detail. Das heißt mit beschränkten Mitteln erfinderisch umzugehen, kreativ zu sein, mit etwas zu blenden, was man eigentlich gar nicht hat – oder Orte und Interieurs aufzuspüren, die man sich als Studiobauten nicht leisten kann.


Die Hauptrolle spielt Felix Krull

Die Ausstattung hat zwar die Welt des Felix Krull zu schaffen, aber wesentlich ist darin immer Felix Krull selbst. Wir müssen also mit unserer Arbeit Signale setzen: Wenn Felix in eine Suite hineingeht, muss sie zwar teuer ausschauen, unser Blick aber muss auf Felix gerichtet bleiben; wenn er in einen Juwelierladen geht, muss einem der Reichtum zwar entgegenschlagen, er darf aber nicht die Figur erschlagen. Einige Probleme wurden uns hier schon abgenommen, weil wir im Hotel Hermitage und im Hotel de Paris in Monte Carlo drehen konnten. Ihr äußerer Zustand gleicht noch heute dem von 1910 – und dieses Ambiente ist zwar prachtvoll, es ist aber auch dazu entworfen, dass seine Besucher sich prachtvoll darstellen können. Wenn Felix Krull einen neuen Raum betritt, führt er den Zuschauer zwar mit ein, aber grundsätzlich bedient der Raum und das Ambiente nur die Inszenierung. Natürlich muss man sich abstimmen, wie sich die Personen in bestimmten Interieurs und Kostümen bewegen, aber eine gute Ausstattung ist nur eine, die beiläufig wirkt. Eine Ausstattung, die sich in den Vordergrund drängt, ist eine schlechte Ausstattung.  Je besser unsere Arbeit ist, um so mehr wird die Regie gefordert, um so stärker muss die Inszenierung sein, sonst besteht die Gefahr, dass die Ausstattung die Schauspieler an die Wand spielt.


Die Atmosphäre von damals mit unseren Vorstellungen von ihr versöhnen

Man kann eine unheimlich genaue und sterile Geschichtsverfilmung machen mit der Gefahr, dass das ins Schulfernsehen abrutscht. Ich glaube, dass für einen Film, der heute gedreht wird, unsere Vorstellungen vom Kulinarischen und von der Atmosphäre entscheidender sind als die damaligen Vorstellungen davon. Betrachtet man zum Beispiel die Filme von Visconti unter einem streng puristischen Blickwinkel, stimmt hier vieles „historisch" nicht, obwohl es für uns heute stimmt.

Damit die Stimmung von damals tatsächlich zu uns rüberkommt, muss man zwar so authentisch wie möglich sein, sich aber zugleich die filmische Freiheit erlauben, diese Atmosphäre zur Wirkung bringen.


Nicos Perakis hat als Regisseur unter anderem die Filme „Bomber & Paganini" und „Milo Milo" gedreht und als Ausstatter etliche Filme des neuen deutschen Kinos betreut: für Bernhard Sinkel „Lina Braake", „Berlinger" und „Taugenichts", für Volker Schlöndorff „Die Blechtrommel".

Nicos Perakis über die Belle Epoque des Felix Krull