Taschenbuch: 288 Seiten

Verlag: Dtv (Juli 2005)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3423208171

ISBN-13: 978-3423208178


„Bluff“ direkt bei Dtv, Amazon.de oder bei buecher.de bestellen.

Bluff - Leseprobe

Die Flammen lodern zum letzten Mal auf, wehren sich erbittert gegen den Schwall aus den Löschkanonen, züngeln violett und blaugrün wie Irrlichter auf verkohlten Balken und sinken schließlich in der aufwärts spritzenden Wasserkanonade in sich zusammen. Die Scheinwerfer, die den Tatort die ganze Nacht über in taghelles Licht getaucht haben, gehen aus. Das trübe Dämmerlicht, das sich über das abgebrannte Haus und den verwüsteten Garten breitet, birgt nur noch eine schwache Erinnerung an das Spektakel der vergangenen Nacht.


Er reißt die Augen auf gegen den Schlaf, der ihn zu übermannen droht, und stampft mit den Füßen auf den gefrorenen Boden. Aus seinem Versteck heraus, einem lattenverstärkten Schuppen, hatte er die Löscharbeiten gut beobachten können. Ihre roten und blauen Einsatzlichter huschten über sein rußbeschmiertes Gesicht und die pechfarben schimmernden Hände.


Löschzüge und Einsatzwagen rücken ab. Feuerwehrmänner rollen ihre Schläuche auf. Auch die Gaffer haben sich zerstreut und sind wieder zurückgekrochen in ihre wärmenden Federbetten. Eine gespenstische Ruhe kehrt ein. Nur einmal noch, beim Einbiegen der Kolonne auf die Landstraße, heult ein einzelnes Martinshorn. Dann ist es still.

Vorsichtig verlässt er sein Versteck. Er muss noch einmal zurück in das ausgebrannte Haus, das ihm fast zur tödlichen Falle geworden wäre. Ein beißender Brandgeruch liegt in der Luft. Es stinkt nach Chemikalien und billigen Kunststoffen. Auf allen vieren schlüpft er durch das Loch im Drahtzaun, das er schon als Junge in den Sommerferien benutzt hatte, hält sich im Schatten der Büsche, um hinter dem dicken Stamm eines Nussbaums in Deckung zu gehen. Das Feuer hat den Schnee im Garten geschmolzen. Auf der Wiese, die die Wassermassen der Löscharbeiten kaum noch fassen konnte, sammeln sich rußschwarze Teiche. Angekohlte Pfosten ragen in den grauen Winterhimmel. Das Dach ist eingestürzt. Schwefelfarbene Wattebäusche quellen aus dem ausgebrannten Haus.


Im oberen Stockwerk hat die Explosion den größten Schaden angerichtet. Der Raum, in dem früher sein Bett stand, ist so gut wie weg. Heizungsrohre und Installationen hängen aus den Resten der aufgerissenen Wände.


Langsam wird es hell. Seine Augen brennen vor Müdigkeit. Der Himmel über der Schorfheide färbt sich violett, mit Wolken voller Schnee. Er will gerade seine Deckung verlassen, da hört er Stimmen.

»Genauso haben sie es im Kosovo gemacht: Propangasflasche, Kerze an und poff!«

»Du meinst, jemand hatte es auf Kasunke abgesehen?«

»Würde mich nicht wundern, wenn wir hier seine verkohlte Leiche finden.«


Zwei Zivilbeamte der Spurensicherung ziehen ihr weißrot gestreiftes Plastikband ums Haus, steuern damit direkt auf den Nußbaum zu. Raoul duckt sich. Einer der beiden Männer lacht.

»From Moscow with love! Halt mal.«


Sie schlingen das Absperrband einmal um den Stamm und entfernen sich damit wieder Richtung Haus.

»Kommt davon, wenn man zu oft die Seiten wechselt! « Raoul wartet, bis sie in ihren Streifenwagen vor dem Gartentor eingestiegen und abgefahren sind. Dann löst er sich aus seiner Deckung und huscht über den Rasen. Eine kleine Steintreppe führt hinunter zum Kellereingang. Zersplittertes Glas knirscht unter seinen Sohlen.

Das Haus glüht. Eine unglaubliche Hitze empfängt ihn. Warme Wasserbäche rinnen an den Wänden herunter Vorsichtig steigt er die Kellertreppe hinauf in die ehemalige Diele. Um ihn herum ein Flüstern und Wispern, Knacken und Rauschen von angekohltem Holz und das Glucksen, Tröpfeln und Plätschern des Löschwassers wie in einer Tropfsteinhöhle.


Hier irgendwo muss er die Blechmarke verloren haben. Er schiebt mit den Schuhen den schlammigen Brandschutt zur Seite. Ätzende Rauchschwaden treiben ihm die Tränen in die Augen. Er presst den Arm vor Nase und Mund und steigt über sein Kinderbett; das durch die Decke in den Flur gestürzt ist. Der Boden unter seinen Sohlen ist warm wie eine Herdplatte.


Im Arbeitszimmer haben Explosion und Feuer den geringsten Schaden angerichtet. Unter der Decke wabern Rauchschleier Er preßt die Lippen aufeinander, um nicht zu husten. Die Bücher in den Regalen sind vom Löschwasser aufgequollen. Inmitten des Chaos steht das Videogerät scheinbar unversehn neben dem zertrümmerten Fernsehapparat.


Raoul verpasst ihm einen gezielten Tritt. Er reißt das Videotape aus der Kassette und hält es in die Glut eines Balkens, bis es zu einem übelriechenden Plastikklumpen verschmort ist. Das war er Tatjana schuldig.


Er bückt sich, wühlt in dem Gipsschlamm und der nassen Asche an der Stelle, wo Kasunke ihn angekettet hatte. Endlich findet er sie: Kasunkes NVA-Erkennungsmarke.


Triumphierend ballt er die Hand um das glühendheiße Stück Metall. Er spürt nicht, wie es sich in seine Handfläche brennt. In ihm ist alles wie abgestorben. Er fühlt keinen Schmerz. Nur Trauer, Wut und das unbändige Verlangen nach Rache.